Die ursprüngliche Helen Hunt

Auswärtige Besucher in Colorado Springs denken oft an die gegenwärtige Hollywood Schauspielerin, wenn ich den Namen Helen Hunt im hiesigen Heimatmuseum (Colorado Springs Pioneers Museum) erwähne, wo ich ehrenamtlich tätig bin. Beide haben denselben Namen und eine Verbindung zu Kalifornien, aber Helen Hunt, die Erste (1830-1885), war Pionierin und Schriftstellerin in den Kindheitstagen unserer Stadt, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ihre ersten Eindrücke waren nicht schmeichelhaft: „Ich werde nie meine abgrundtiefe Enttäuschung vergessen, als ich die Stadt zum ersten Mal erblickte. Im Osten erstreckte sich die trostlose, öde, unerbittliche Prärie. Im Westen erhob sich eine dunkle, schneebedeckte, steilwändige, strenge, grausame, unerbittliche Bergkette. Dazwischen lag die Stadt: klein, neu, baumlos. Es hätte fast zum Sterben gereicht“. Keine Handelskammer würde mit diesen Worten werben. Es ist ironisch, daß Colorado Springs sich bald darauf deren Verfasserin rühmen, und die beliebten Wasserfälle in North Cheyenne Cañon nach ihr benennen würde.

Helen Hunt Falls in North Cheyenne Cañon

Helen Hunt, geborene Fisk, war 43 als sie die flache, monochromatische Prärie auf der langen Zugreise von ihrer Heimat in Massachusetts nach Colorado im November 1873 überquerte, und diese düsteren Sensationen empfand. Wer ihr Schicksal bis zu diesem Zeitpunkt kennt, kann sie nachvollziehen. Mutterlos seit 13 und vaterlos seit 16, hatte sie mit 23 ihren elf Monate alten Sohn Murray, mit 32 ihren zweiundvierzigjährigen Mann Edward B. Hunt und mit 34 ihren achtjährigen Sohn Warren verloren. Krank an Körper und Seele folgte sie dem Rat ihres Arztes, der ihr einen Ortswechsel für ihre chronische Atemwegserkrankung verschrieben hatte. Vor der Entdeckung von Antibiotika war Colorado wegen des gesunden Bergklimas eines der Hauptreiseziele für Schwindsüchtige. In einer Zeit, in der Fehldiagnosen häufig waren, mag sie zwar an Tuberkulose gelitten haben, aber offiziell war es Asthma.

Die lediglich zwei Jahre alte Stadt am Fuße von Pikes Peak profitierte von der Tatsache, daß Helen die trockene Luft der Berge bekam, und deren Schönheit ihre Depressionen heilte. Nach einem Meinungsumschwung von 180 Grad entschied sich Helen zum Bleiben. In einem Artikel über ihr neues Zuhause, der im August 1874 in der Zeitschrift New York Independent erschien, drückte sie sich folgendermaßen aus: „Heute sage ich, es allein würde fast zum Leben ausreichen“. „Fast“, weil sie das Reisen weiterhin liebte und praktizierte.

Während ihrer Trauerzeit in Massachusetts hatte Helen Hunt Gedichte verfaßt und veröffentlicht. Reisebeschreibungen folgten einigen Auslandsexkursionen. In Neuengland gehörten Ralph Waldo Emerson, Harriet Beecher Stowe und Emily Dickinson zu ihrem Freundeskreis. Sie bemühte sich vergeblich, Emily zur Veröffentlichung ihrer Gedichte zu ermutigen, die bis auf wenige, anonym publizierte, erst postum erschienen. Nachdem sich Helen in Colorado niederließ, schrieb sie auch Romane. Sie gehörte zu einer auserlesenen Gruppe von Autorinnen, die sich mit ihrer Kunst ihren Lebensinhalt verdienen konnten.

Colorado Springs, auf dem Reißbrett entstanden, befand sich noch in einer frühen Bauphase. Es gab wenig Unterkünfte, und Helen Hunt mietete sich im Colorado Springs Hotel ein, dem ersten der Siedlung. Dort traf sie einen der anderen Gäste, William S. Jackson. Er war Sekretär und Kassenwart der Denver and Rio Grande Eisenbahnlinie, die ebenso wie Colorado Springs von General William Jackson Palmer gegründet worden war. Die Freundschaft zwischen Helen und Mr. Jackson führte zu ihrer Heirat im Jahre 1875.

Vier Jahre später besuchte sie eine Vorlesung des Ponca Häuptlings Standing Bear, die in einer Neuorientierung ihrer verbleibenden Lebensjahre resultierte. Sie recherchierte die an den Indianern begangenen Greueltaten und entwickelte sich zur entschiedenen und empörten Aktivistin für deren Rechte. 1881 veröffentlichte sie A Century of Dishonor (Ein Jahrhundert der Schmach) und verteilte Kopien an alle Kongreßabgeordneten. Obwohl es größtenteils unbeachtet blieb, beauftragte die Zeitschrift Century Magazine Helen, die Situation der Indianer in den ehemaligen spanischen Missionen in Südkalifornien zu erforschen. Dies führte letztendlich zu ihrer Ernennung als Sonderermittlerin für die Behörde für Indianerangelegenheiten und zu ihrer Berichterstattung über deren erbärmliche Lebensbedingungen und Perspektiven. Auch motivierte es sie, deren Leiden in Romanform darzustellen. In einem Brief vom 2. Mai, 1883 an den Verleger der Zeitschrift Atlantic Monthly, drückte sie ihre Ambitionen so aus: „Wenn ich eine Geschichte schreiben könnte, die nur ein Tausendstel dessen für die Indianer bewirken könnte, was Uncle Toms Cabin für die Schwarzen tat, wäre ich für den Rest meines Lebens lang dankbar“.

Sie verlieh ihrer Entrüstung in dem Roman Ramona Ausdruck, fieberhaft in vier Monaten verfaßt, und 1884 veröffentlicht. Er handelt von der tragischen Liebesbeziehung zwischen einem Vollblutindianer und einer Frau, halb Indianerin, halb Schottin, die in einer spanisch-mexikanischen Familie als Waise aufwächst, und kritisiert Vorurteile und Verstöße gegen die Indianer der katholischen Missionen des ehemals mexikanischen Hoheitsgebiets Kaliforniens, das nach dem Krieg zwischen Mexiko und den USA (1846-1848) den vereinigten Staaten angeschlossen wurde.

Es ist etwas schwierig zu quantifizieren, inwieweit ihre Reportagen in Reformen der Indianerpolitik resultierten. Ihr Roman Ramona wurde jedoch zum literarischen Bestseller, der bis heute ununterbrochen verlegt wird. Er wurde wiederholt verfilmt und wird seit 1923 jährlich als Drama bei den Ramona Festspielen im kalifornischen Hemet aufgeführt.

Leider folgte Helens Tod der Geburt ihres Meisterwerkes dicht auf den Fersen. Ich hoffe, daß sie durch den Riesenverkauf von mehr als 15.000 Exemplaren in den 10 Monaten zwischen der Veröffentlichung und ihrem Ableben ein wenig Genugtuung erfuhr. Sie blieb sich bis zum Ende treu und flehte noch von ihrem Totenbett in Kalifornien, wo sie sich von einer Krankheit erholen wollte, Präsident Grover Cleveland in einem Brief an, die an den Indianern begangenen Untaten zu korrigieren. Am 2. August, 1885 erlag sie einem vermutlichen Magenkrebs im Alter von nur 54 Jahren, mit William an ihrer Seite.

Helen liebte Cheyenne Mountain in Colorado Springs so sehr, daß ihr Mann ihr Heim umgebaut hatte, um ihr die Sicht auf ihren Lieblingsberg von ihren Gemächern aus zu ermöglichen. Nun folgte er ihrem Wunsch und bestattete sie im Schatten des Berges, am sogenannten Inspiration Point, oberhalb der Seven Falls (Sieben Wasserfälle), die bereits damals eine Touristenattraktion waren. Sie lag unter einem wachsenden Hügel aus Steinen, liebevoll von ihren Bewunderern, die zu ihrem Ruheort pilgerten, platziert.

Helen Hunts ehemalige Ruhestätte in der Nähe von Inspiration Point, mit dem falschen Geburtsjahr

Aussicht von ihrer ehemaligen Ruhestätte auf das moderne Colorado Springs

Letztendlich wurde sie in die Anlage der Familie Jackson auf dem Evergreen Friedhof verlegt. Für ihre Anhänger ist es tröstlich zu wissen, daß ihr Grab dem Gipfel, den sie so liebte, am nächsten liegt, und eine ununterbrochene Aussicht darauf hat.

Jetzige Ruhestätte Helen Hunts auf dem Evergreen Friedhof

Nachdem die Stadt das Jackson Grundstück 1961 erwarb, und das Haus vor dem Abriß stand, wurden Teile davon von ihrer Familie an das Colorado Springs Pioneers Museum gespendet, wo vier Originalräume samt Inneneinrichtung Teil der Dauerausstellung sind.

Colorado Springs Pioneers Museum

Einblick auf Helen Hunts Eßzimmer und Bibliothek im Museum

Helen Hunt Jackson nimmt unter den frühen Bürgern von Colorado Springs eine Sonderstellung ein. Ihr unbezwingbarer Geist überkam wiederholte Schicksalsschläge und ihr Aktivismus für die Indianer war ungewöhnlich für eine Frau ihrer Ära und ihres Standes. Im geschichtlichen Universum unserer Stadt leuchtet sie als einer der hellsten Sterne.

Klicken Sie bitte hier für die englische Version/click here for the English version:

https://tanjabrittonwriter.wordpress.com/2017/07/13/the-original-helen-hunt/

Helen Hunts Bildnis stammt von einem Photo, das ich von einer von dem Pikes Peak Library District herausgegebenen Postkarte gemacht habe. Photograph und Datum sind unbekannt.

6 Gedanken zu “Die ursprüngliche Helen Hunt

  1. Was für ein Schicksal und was für ein Lebensweg. Beeindruckend! Ein typo in der Jahreszahl hat mich erst etwas irritiert (…im November 1973…) aber dann war schnell klar, dass das wohl 1873 war 😉

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