Eine „Bloomer Frau“ auf Pikes Peak

Die Bezeichnung „Bloomer Frau“ war kein Kompliment in feiner Gesellschaft. Laut viktorianischen Ansichten waren nur knöchellange Röcke anständig, auch wenn sie im Alltag noch so unpraktisch waren. „Bloomer Frauen“ trugen Gewänder, die kurz unterhalb der Knie endeten, und über einem Paar weiter Pluderhosen getragen wurden – ein Skandal. Obwohl sie es nicht selbst entwarf, wurde das Kostüm nach Amelia Bloomer (1818-1894) benannt, die eine der ersten Verfechterinnen der Frauenbewegung in den USA war, und sich auch für Kleiderreform einsetzte. Frauen, die diese progressive Kleidung anlegten, protestierten die willkürlichen gesellschaftlichen Normen und unterstützten gewöhnlich die frühen feministischen Organisationen sowie deren Ziele: Gleichberechtigung und Wahlrecht.

„Reformgewand“ oder „Bloomer“. Abbildung in A Bloomer Girl on Pike’s Peak

Der Titel dieses Beitrags stammt von einem Buch, das 1949 vom Denver Library District veröffentlicht wurde. Eine Bloomer Frau auf Pikes Peak (A Bloomer Girl on Pike’s Peak) bezieht sich auf Julia Archibald Holmes (1838-1887). Sie wurde in Kanada geboren und zog zehnjährig nach Massachusetts, und Mitte der 1850er Jahre nach Kansas, wo ihre Familie Teil der Bewegung war, die die Legalisierung der Sklaverei in diesem Staat verhindern wollte. Sie halfen bei der Gründung der Stadt Lawrence, wo sie auch James Holmes kennenlernte, der wie sie ein Gegner der Sklaverei, und ferner Mitkämpfer der Free State Rangers unter John Brown war. Im Herbst 1857 heiratete sie ihn mit nur 18. Nach Goldfunden in Colorado im folgenden Jahr schloß sich das Paar im Juni 1858 der Lawrence Party an, die zu den frühesten Goldsuchern gehörten. Diese überquerten die Great Plains im Planwagen und zu Fuß. Etwa einen Monat später erreichten sie den Schatten von Pikes Peak, wo sie in der Nähe des jetzigen Garden of the Gods ihr Lager aufschlugen.

Ein halbes Jahrhundert zuvor, 1806, hatte Captain Zebulon Montgomery Pike die erste Regierungsexpedition in diese Gegend geleitet, die Teil des Louisiana Purchase von 1803 gewesen war. Während er nach dem Ursprung des Arkansas Flusses suchte, sah er einen hohen Berg in der Ferne, dem er sich zielstrebig näherte, von dessen Besteigung er aber wegen unfreundlichen Novemberwetters abgehalten wurde. In seinem Tagebuch verlieh er seiner Überzeugung Ausdruck: „Kein Mann könnte seine Zinne erklommen haben“. Julia und ihr Mann erreichten jedoch am 5. August 1858 den Gipfel des 4302 Meter hohen Berges, der einige Jahre nach Pikes Tod nach ihm benannt wurde. Julia wird allgemein als erste weiße Frau angesehen, der das gelang. Ironischerweise trug sie ihr „Bloomer“ Gewand, was ihren Aufstieg erleichterte, wohingegen Pike und seine Männer nicht nur mit Schnee zu kämpfen hatten, sondern auch mit unzureichenden Sommeruniformen.

Julia führte Tagebuch, und obwohl es verloren ging, überlebten einige Einträge in Form von Briefen an die Familie, und Artikeln für Frauenzeitschriften. Sie vermitteln Einblicke in Julias Abenteuer und stellen den Großteil des Buches A Bloomer Girl on Pike’s Peak dar, aus dem die folgenden (von mir übersetzten) Zitate stammen.

Wir waren nun mitten auf der wogenden Prärie. Jemand, der nie das Meer oder die weite, unbewohnte Ebene gesehen hat, kann sich die Großartigkeit der Kulisse unmöglich vorstellen. Mit dem blauen Himmel über uns und der unbeschränkten Vielfalt der Blumen unter unseren Füßen schien es, als haben sich die Einsamkeit des Meeres mit all den Schönheiten der Landschaft vereint. (Seite 15)

Ich begann die Reise fest entschlossen, das Laufen zu erlernen. Zuerst konnte ich nicht mehr als drei oder vier Meilen gehen, ohne erschöpft zu sein, aber indem ich jeden Tag beharrlich so weit wie möglich lief, nahm mein Leistungsvermögen nach und nach zu, und im Laufe einiger Wochen konnte ich zehn Meilen unter den heißesten Bedingungen zurücklegen, ohne geschlaucht zu sein. Wenn Frauen, wie ich, an die Gleichbehandlung mit Männern glauben, sollten wir, wenn möglich, auch deren Mühsale auf uns nehmen, um unsere Unabhängigkeit voranzutreiben. (Seite 20)

Ich habe mein Ziel erreicht und fühle mich für meine Mühen und Müdigkeit reichlich belohnt. Fast alle haben versucht, mich von meinem Vorhaben abzubringen, doch ich glaubte immer an sein Gelingen, und nun stehe ich hier und möchte diese herrliche Aussicht um nichts in der Welt missen. Aller Wahrscheinlichkeit nach bin ich die erste Frau, die je auf dem Gipfel dieses Berges gestanden und einen Blick auf diese wunderbare Landschaft geworfen hat. (Seite 39)

Heutiger Gipfelblick von Pikes Peaks aus

Als sich kein Gold finden ließ, zogen Julia und ihr Mann einige Jahre lang nach Neu Mexiko. Von ihren vier Kindern verstarben zwei. Nachdem sich Julia 1870 als Konsequenz von Mißbrauch und Ehebruch scheiden ließ, wurde Washington, D.C. ihr permanenter Wohnsitz. Dort blieb sie in der Frauenbewegung aktiv und arbeitete für die US Regierung bis zu ihrem Tode im Alter von nur 49 Jahren. Ihre Todesursache wird in den mir bekannten Quellen nicht erwähnt. Das obige Bildnis zeigt Julia mit etwa 32, als sie sich von ihrem Mann trennte. Bin ich die einzige, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit Julia Roberts erkennt?

Pikes Peak (auch als America’s Mountain bekannt) erinnert mich regelmäßig an das bewegte und erfüllte Leben der „Bloomer Frau auf Pikes Peak“, der Progressiven, Sklavereigegnerin, Suffragette, Schriftstellerin, und ersten bekannten Frau, die seine Kuppe erklomm.

Klicken Sie bitte hier für die englische Version/click here for the English version:

https://tanjabrittonwriter.wordpress.com/2017/10/12/a-bloomer-girl-on-pikes-peak/

5 Gedanken zu “Eine „Bloomer Frau“ auf Pikes Peak

  1. Liebe Tanja,
    mit Dir reise ich gerne durch amerikanische Landschaften und lerne historische Persönlichkeiten kennen.
    Julia Archibald Holme hatte offensichtlich ein sehr bewegtes Leben …
    Und, ja, ich finde ebenfalls, daß sie Julia Roberts ähnlich sieht.
    Herzensgruß von mir zu Dir 🙂

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  2. Doch, sie hat durchaus Ähnlichkeit mit Julia Roberts! 🙂

    Wenn man überlegt, was Frauen in so kurzer Zeit (bis heute) erreicht haben, ist es schon ein gewaltiger Fortschritt.

    Pluderhosen und Kleid darüber, mehr geht doch eigentlich gar nicht.
    Mann oh Mann, was habt ihr den Frauen nur zugemutet.

    Julia muss eine wunderbare Frau gewesen sein, voller Mut und Tatendrang und Zielstrebigkeit.
    Belohnt wurde sie mit diesem einmaligen Ausblick.

    Wie schön es bei dir ist, Tanya. Ich danke dir für die wundbaren Bilder und den Bericht über eine großartige Frau des neunzehnten Jahrhunderts.

    Liebe Grüße
    Brigitte

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    • Danke weiterhin für Dein Interesse und Deine einfühlsamen Kommentare, liebe Brigitte.
      Es tut mir leid, daß ich erst jetzt antworte, doch ich war 8 Tage lang (freiwillig) ohne Internet unterwegs!
      Ja, ich finde es auch erstaunlich was mann von frau so erwartete. Und noch erstaunlicher, wie Frauen dann anfingen, gegen willkürliche Bräuche aufzubegehren. Wir haben von ihrem Aktivismus profitiert, und dafür bin ich ihnen dankbar.
      Herzlichst,
      Tanja

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      • Im Urlaub bin ich auch ohne Internet und genieße es. Ich liebe das Internetz, bringt es mir doch viele, wunderbare Kontakte und Eindrücke, aber manchmal muss frau auch ohne sein 😉
        Liebe Grüße
        Brigitte

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