Ein Tag in Speyer

Das erste Mal seit Jahrzehnten verbringe ich während meines Deutschlandaufenthaltes vor etwa einem Monat einen Tag in Speyer, eine bloße Zugstunde vom Haus meines Vaters entfernt. Nur nebelhafte Eindrücke eines vorherigen Besuches durchziehen mein Gedächtnis, doch sobald ich das Stadttor erreiche, als Altpörtel bekannt, und ich der Szene vor mir ansichtig werde, lüften sich die Schwaden.

Altpörtel

Altpörtel

Sie dürfte eine der bekanntesten in Rheinland-Pfalz, wenn nicht sogar in ganz Deutschland sein. Das mittelalterliche Tor, dessen Fundamente im 13. Jahrhundert verwurzelt sind, stellt den Beginn der von West nach Ost verlaufenden Hauptschlagader dar, einer weitläufigen Esplanade, genannt Maximilianstraße.

Maximilianstraße

Maximilianstraße mit Dom

Sie wird von betagten und jüngeren Gebäuden eingefaßt, und kulminiert im Herzen der Stadt, das gleichzeitig eines der ehrwürdigsten Bauwerke Mitteleuropas ist: dem Kaiserdom zu Speyer. Neben denen in Worms und Mainz ist er einer von drei romanischen Sakralbauten des Landes. Unter ihnen ist er der größte, geräumigste und, wie ich finde, auch der farbenprächtigste. Die polychromen Sandsteintöne begrüßen mich wärmstens, auch wenn es am Tag meiner Erkundung in Strömen regnet.

Dom zu Speyer

Dom zu Speyer

Die romanische Architektur erreichte ihren Höhepunkt im 11. Jahrhundert und ist von halbkreisförmigen Bögen geprägt, verglichen mit den Spitzbögen der ihr folgenden Gotik. Auf mich wirkt der erstere Stil wuchtiger und bodenständiger, wohingegen der letztere in den Himmel zu streben scheint. Tatsächlich fühle ich mich etwas erdrückt und überwältigt, als ich die schwere Bronzetür aufdrücke, und diesen fast eintausend Jahre alten Koloss betrete, was sicherlich von den Erbauern erwünscht war.

Altarraum

Altarraum

Nach Hauptschiff, Chor und Apsis steige ich die steinernen Stufen zur Krypta hinab, deren Geometrie und Dimensionen mich weiter staunen lassen, und deren schiere Größe die unterirdischen Räume der Wormser und Mainzer Kathedralen übertrifft.

Krypta

Krypta

Allen dreien sind schwere Steinsärge gemein, in denen die Gebeine ehemaliger weltlicher und geistlicher Herrscher bis in alle Ewigkeit ruhen. Eine der Kapellen beherbergt Reliquien, sprich Körperteile von Heiligen, ein Brauch, der fremd anmutet, mich aber trotzdem fasziniert.

Reliquie des Heiligen Nardini (1821-1862)

Reliquie des Heiligen Nardini (1821-1862)

Ich würde noch länger verweilen, hätten der Kaisersaal mit seinen bekannten Fresken, und der Turm mit der Aussichtsplattform nicht bereits für die Wintermonate geschlossen. In meiner Bewunderung stehe ich nicht alleine da: Im Jahre 1981 wurde der Dom von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.

In unmittelbarer Nähe der Hauptstraße laden weitere Orte zur Besichtigung ein. Ich entdecke Kirchen neueren Datums und Gedenkstätten bekannter Bürger(-innen). Zu ihnen zählt Sophie von La Roche (1730-1807), eine der wenigen berühmten Schriftstellerinnen des 17. Jahrhunderts. Ihr Roman, Das Fräulein von Sternheim, erhob sie aus dem Dunkel, und katapultierte sie auf die hellerleuchtete Bühne der deutschen Literatur. Sie veröffentlichte die erste deutsche Frauenzeitschrift, Pomono für Teutschlands Töchter, und hatte sowohl Kontakt mit als auch Einfluß auf solche Persönlichkeiten wie Wieland, Klopstock, Goethe und Schiller. Es ist mir fast unbegreiflich, daß ich nie zuvor von ihr gehört hatte, doch ich schaffe gerade meinem Unwissen Abhilfe, indem ich ihre Biographie lese.

Wohnhaus und Museum von Sophie La Roche

Wohnhaus und Museum von Sophie La Roche

Speyer, Worms und Mainz waren mittelalterliche Zentren jüdischer Kultur und Bildung. Sie wurden als SchUM Städte bekannt, eine Bezeichnung, die sich von den hebräischen Anfangsbuchstaben der drei Städtenamen im Mittelalter ableitet, Schpira, Warmaisa und Magenza. Alle drei litten unter antisemitischen Ausschreitungen, die über Jahrhunderte hinweg mal zu- und mal abnahmen, und die in wiederholten Zerstörungswellen von Privat- und Gotteshäusern resultierten.

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Mosaik des mittelalterlichen Speyer im jüdischen Museum

Der Judenhof mahnt zum Andenken an diese, die jüdische Bevölkerung treffenden, erschütternden Ereignisse, und besteht aus einem Museum, den Ruinen der ehemaligen Synagoge, und dem ältesten Ritualbad nördlich der Alpen. Die Synagoge wurde 1104 eingeweiht und diente der jüdischen Glaubensgemeinschaft etwa 400 Jahre lang, bis sie wieder mal der Stadt verwiesen wurde.

Ruine der mittelalterlichen Synagoge

Ruine der mittelalterlichen Synagoge

Das Gebäude wurde von den Stadtvätern umfunktioniert, bis es 1689 im pfälzischen Erbfolgekrieg, der weite Landesteile verwüstete, zerstört wurde, obwohl einige der Mauern noch bis heute stehen. Das Ritualbad, auch als Mikwe bekannt, wurde 1120 in Gebrauch genommen. Seine Nutzung als Waffenlager für die Stadt nach 1500 garantierte sein Fortbestehen, und seine unterirdische Lage schützte es vor den Bränden des Jahres 1689.

Mikwe

Mikwe

Nachfolgebauten der mittelalterlichen Synagoge wurden 1938 durch die Novemberpogrome zerstört. Seit 2012 hat Speyer wieder ein jüdisches Gebetshaus, ein Symbol der Hoffnung auf Akzeptanz und friedliches Zusammenleben. Aufgrund des Vermächtnisses der drei verschwisterten Städte wird zur Zeit ein Antrag auf Anerkennung als Weltkulturerbe vorbereitet, worüber die UNESCO im Jahre 2021 entscheiden soll.

Neue Synagoge

Neue Synagoge

Ich bedauere, daß der ausklingende Tag weitere Erforschungen beendet. Der zur Rheinallee führende Dompark, das historische Museum der Pfalz und weitere verlockende Angebote müssen eben auf einen zukünftigen Besuch warten.

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https://tanjabrittonwriter.wordpress.com/2016/12/08/a-day-in-speyer/