Das Märchen von der Wassernixe

     Die Herbsttage in Deutschland sind oft bewölkt, kühl und verregnet. Da ich inzwischen an Colorados warmes und trockenes Klima gewöhnt bin, ist mir ständig kalt, was meinen Vater dazu bewegt, mich verweichlicht zu nennen. Nichtsdestotrotz gebe ich mich meinem Wunsch nach Wärme hin, und während eines besonders unfreundlichen Intervalls, in dem die Barometernadel immer weiter nach unten driftet, beschließe ich, einen Tag in einem Bäderhaus zu verbringen, das ich seit mindestens 10 Jahren nicht mehr aufgesucht habe, doch an dessen Schwimm- und Mineralwasserbecken, Schlamm- und Dampfbäder, trockene und feuchte Saunas ich mich sehnsüchtig erinnere.

     Nach einer Zugfahrt und einem Spaziergang durch den Nebel erreiche ich mein Ziel und bin bereit, mich zu verwöhnen und zu entspannen. Ich plansche erst wenige Minuten im Schwimmbad, als ein Mitarbeiter herantritt, und meine Aufmerksamkeit fordert. Stell Dir meine Überraschung vor, als er mir sagt, daß Badekleidung nicht wahlweise, sondern komplett verboten ist. Mir war bereits aufgefallen, daß meine Mitbesucher im Wasser nur ihr Geburtskleid trugen, doch kam mir nie der Gedanke, daß es sich dabei um mehr als ihren Vorzug handelte, sondern um ein in Stein gemeißeltes Gesetz. Ich kann mich an keine Hinweise erinnern, die Kleidung verboten, weder im Internet, wo ich die Öffnungszeiten nachlas, noch am Eingang. Aber plötzlich bin ich die Geächtete. Wir sind eine „textilfreie Anlage“, wiederholt der Angestellte wie ein Mantra. Er fügt noch hilfreich hinzu, daß entweder mein Badeanzug gehen muß, oder ich.

     Also gehe ich. Mit Bedauern steige ich aus dem Wasser, schlinge mein Badetuch um mich, und kehre nachdenklich in die Umkleidekabine zurück. Ich kann mich nicht erinnern, daß in meinem Stammbaum Puritaner vorkamen, doch irgendwie müssen die puritanischen Ströme die meine langjährige Heimat USA noch immer durchfließen, auf mich übergegangen sein, vielleicht durch das Trinkwasser, oder die Atemluft.

     In der Zeit, in der ich mich abgeduscht und meine Haare getrocknet habe, hat sich meine Betroffenheit in Humor und innerliches Schmunzeln verwandelt. Ich beschließe, daß diese Anekdote zu lustig ist, um sie für mich selbst zu behalten. Daher die Geständnisse der verklemmten Möchtegernnixe, die sich in ihrer eigenen Haut nicht wohlfühlte.

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Wenn eine(r) eine Reise tut…

Das bekannte lateinische Sprichwort, Omnes viae Roman ducunt (alle Wege führen nach Rom) garantiert nicht, daß der Weg geradlinig sein wird, und mein eigener war alles andere als. Obwohl ich die ersten zwei Jahrzehnte meines Lebens in Deutschland verbrachte, gelang es mir in jenen Jahren nie, einen Fuß in die italienische Hauptstadt zu setzen. Nach einem weiteren Vierteljahrhundert, als ich Deutschland von meiner neuen Heimat in Amerika aus mal wieder besuchte, war ich fest entschlossen, diese Bildungslücke zu schließen.

Der transatlantische Flug lag bereits hinter mir, so daß es nur noch die relativ kurze Distanz zwischen Frankfurt und Rom zu überbrücken galt. Ich suchte mir einen frühen Flug aus, um maximal von den wenigen, mir zur Verfügung stehenden Tagen in dieser legendenumwobenen Stadt zu profitieren. Der Frankfurter Flughafen ist dank der effizienten öffentlichen Verkehrsmittel (falls sie nicht bestreikt werden) leicht zu erreichen, und an dem gegebenen Tag kam ich einige Stunden vor dem geplanten Abflug mit dem Zug dort an. Der falsche Alarm, den ich an der Sicherheitskontrolle auslöste, war das erste in einer ganzen Reihe von Hindernissen, denen ich begegnete, und resultierte in einer manuellen Durchsuchung durch eine Beamtin. Danach durfte ich noch meine Sonnencreme abgeben, weil sie das erlaubte Gewicht um wenige Gram überschritt. Ich reiste nur mit Handgepäck, und hatte es unterlassen, mir vorher die Regeln anzuschauen. Obwohl es in Rom viele kleine Apotheken gab, ersetzte ich die Lotion erst, als meine Haut bereits die Farbe eines Hummers hatte, was dem Sprichwort Vorbeugen ist besser als Heilen neue Bedeutung verlieh.

Am Flugsteig angekommen, wurden wir Romreisenden zu einem anderen geschickt, weil unsere Maschine überfällig war, und wir verließen Frankfurt mit einer Stunde Verspätung. Schönes Wetter ermöglichte es dem Piloten, etwas Zeit aufzuholen, und als nach neunzig Minuten das Mittelmeer am Horizont erschien, stieg die Laune aller Passagiere spürbar. Der Anflug auf Fiumicino, einem von Roms zwei Flughäfen, schien glatt, sowie auch die Landung des Flugzeugs. Doch sobald dessen Räder auf der Flugbahn aufsetzten, heulten die Motoren auf, und in Sekundenschnelle stiegen wir wieder in die Lüfte. Meine Miene war nicht die einzige, die ein Fragezeichen trug. Eine Flugbegleiterin meldete sich sofort mit scheinbar ruhiger Stimme, kurz danach gefolgt vom Kapitän. Er ließ uns wissen, daß er es für ratsam gehalten hatte, dem unvorhergesehenen Flieger am Ende der Flugbahn auszuweichen! Keiner seiner Passagiere erhob Einspruch. Während wir in der Höhe kreisten, erlebten wir die Gegend nochmals aus der Vogelperspektive. Als die Flugkontrolle das Signal zum Landen gab, stellte sich heraus, daß niemand das Bodenpersonal benachrichtigt hatte, und es bedurfte weiterer dreißig Minuten Geduld, bevor wir auf freien Fuß gesetzt wurden.

Endlich stand ich auf italienischem Boden. Nur noch zwei Etappen trennten mich von Roms heißersehnten Sehenswürdigkeiten—ich mußte die Innenstadt erreichen, und dort mein Domizil beziehen. Da ich innerhalb des Schengen Raumes unterwegs war, erledigte sich die Paßkontrolle, und ich folgte den Schildern Richtung Leonardo Express. Dieser Zug pendelt alle halbe Stunde zwischen dem Flughafen und Roms Hauptbahnhof, und braucht etwa genauso lang, um die Strecke zurückzulegen.

Roma Termini

Roma Termini

Dieser Abschnitt wenigstens verlief nach Plan. An der Endstation, Roma Termini, wimmelte es nur vor Reisenden, die auf Zug, Metro, Bus, Taxi, oder Privatfahrzeug warteten. Mit Stadtkarte in der Hand fand ich meine Herberge in der Nähe des Bahnhofes. Obwohl mir der Manager nur wenige Tage zuvor telephonisch eine Unterkunft zugesichert hatte, gab es kein Bett für meine drei Nächte. Ob es mir wohl etwas ausmachen würde, ihre Schwesterherberge auf der anderen Seite des Bahnhofes aufzusuchen? An diesem heißen Junitag erreichte ich die zweite Herberge völlig in Schweiß gebadet, mit nassen Haaren, und strapazierter Geduld. Wäre es ihnen wohl möglich, mich hier drei Nächte lang unterzubringen? Ich hielt meinen Beleg beschwörend über den Empfang. Ja, lautete die Antwort, aber…

Ich fragte mich entgeistert, was sonst noch schiefgehen könnte. Als mich der Angestellte informierte, daß ich in der ersten Nacht ein Vierbettzimmer für Frauen beziehen könnte, die darauffolgenden Nächte jedoch in einem gemischten Zwölfbettzimmer verbringen müßte, erschien mir die Aussicht auf eine garantierte Decke über dem Kopf wie ein Geschenk, und ich war erleichtert, sogar dankbar. Wer will schon schmollen, oder grollen, egal wie berechtigt oder unberechtigt, wenn Forum Romanum und Kolosseum in Greifweite liegen?

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Kolosseum

Ich ließ mein Gepäck, samt meiner nordeuropäischen Haltung, in meinem Zimmer zurück, und machte mich daran, die Ewige Stadt zu erkunden, mit einem halben Tag Verspätung. Rom mag ewig sein, aber meine Zeit war begrenzt, und ich hatte vor, das Beste aus ihr zu machen.

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