Friede auf Erden

So verschieden unsere Hintergründe und Überzeugungen auch sein mögen, teilen die meisten unter uns die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft für die Menschheit. Trotz aller Differenzen und Konflikte kennen wir alle Personen, die das Gute im Menschen verkörpern, oder wir erinnern uns an Situationen, in denen sich jemand unerwartet verhielt, was uns dazu bewog, uns unsere eigene Reaktion in einer ähnlichen Lage auszumalen.

Ich hatte eine solche Erfahrung, als ich Ende der 1980er Jahre zum ersten Mal über die Herkunft der Kirchenfenster von St. Stephan in Mainz erfuhr. Das Kirchengebäude, dessen Fundamente auf römischen Ruinen ruhen, stammt in seiner ersten Inkarnation aus dem 10. Jahrhundert n.Chr., wurde aber seither mehrmals modifiziert. Nach der Zerstörung großer Teile durch alliierte Bombenangriffe in den 1940er Jahren, wurde es in den nachfolgenden Jahrzehnten wiederaufgebaut.

Ich kann mir vorstellen, daß sich Klaus Mayer, der Pastor von St. Stephan, dem weltberühmten Künstler Marc Chagall  im Jahre 1973 mit einigen Bedenken näherte, als er ihn  darum bat, Kirchenfenster zu schaffen, um die in den Nachkriegsjahren installierten, der Überbrückung dienenden, klaren Glasscheiben zu ersetzen. Der in Rußland geborene Marc Chagall (1887-1985) war als junger Mann nach Frankreich gezogen, und 1948 dorthin zurückgekehrt, nachdem er im Jahre 1941 infolge der Naziinvasion in die USA floh. Es ist mir nur schwer begreiflich, was es ihn kostete, nicht nur der deutschen Nation den Völkermord an Millionen seiner jüdischen Mitmenschen zu vergeben, sondern die Güte und Großherzigkeit zu besitzen, seine Traurigkeit und Trauer in einige der wunderbarsten, je geschaffenen Kirchenfenster zu transformieren.

Um nicht nur die Kluft zwischen Deutschen und Juden, sondern auch die zwischen Christentum und jüdischer Religion zu überbrücken, entschied er sich dazu, Szenen sowohl aus dem alten als auch dem neuen Testament darzustellen. Zwischen 1978, als er 91 war, und seinem Tod 1985 im Alter von 97 Jahren, wurden neun von ihm entworfene Fenster im Atelier von Jacques Simon in Reims produziert, und anschließend in St. Stephan eingesetzt. Nach Chagalls Ableben setzte sein Freund und Künstlerkollege Charles Marq das Projekt fort, und steuerte weitere neunzehn Fenster bei. Obwohl seine Kreationen nach und nach weniger bildhaft und abstrakter wurden, empfand er Chagalls ursprüngliche Absicht und Farbgestaltung nach.

Das Äußere des stattlichen aber unaufdringlichen Bauwerks deutet nicht auf die Pracht des Innenraums hin, die sich hinter den schweren Bronzetüren verbirgt. Ein tiefes Blau entspringt den Fenstern, erfüllt das Innere, hüllt den Besucher in ein behagliches und beruhigendes Licht. Es lockt den Blick in die Ferne, während es gleichzeitig die anderen Farben und Formen im Glas hervorhebt. Seit ich mich in die friedvolle, wohltuende Atmosphäre dieses Raums verliebt habe, kehre ich immer wieder dorthin zurück, entweder um im Stillen nachzusinnen, einer Meditation beizuwohnen, oder einem Orgelkonzert zu lauschen. Keine Reise nach Deutschland wäre komplett, ohne ihn aufzusuchen.

Marc Chagalls Leben und Schaffen inspirieren. Wenn wir alle auch nur eine geringe Anstrengung machen würden, uns gegenseitig zu respektieren und uns die Hand zu reichen, ungeachtet unserer religiösen oder politischen Überzeugungen, unserer Hautfarbe, unseres Alters, unserer ethnischen Zugehörigkeit, unseres Geschlechts oder unserer sexuellen Orientierung, wäre Friede auf Erden nicht bloß ein utopischer Wunsch, sondern eine echte Möglichkeit.

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Zurück zur Natur

Wohin unsere Blicke schweifen, treffen sie auf schwindende natürliche Lebensräume. Wir alle sind Zeugen der tragischen Zerstörung des Regenwaldes, die nicht nur Klimaerwärmung erzeugt, sondern noch verschlimmert, da die grüne Lunge unserer Erde nicht mehr länger in der Lage ist, im wunderbaren Prozeß der Photosynthese erderwärmendes Kohlendioxid zu inhalieren, und in einer Art Nebengedanken Sauerstoff auszuatmen. Feuchtgebiete stellen eine weitere unentbehrliche, in Windeseile schwindende Welt dar, auf die unzählige Pflanzen und Tiere angewiesen sind. Angesichts dieser Verluste sind Resignation oder sogar Verzweiflung eine verständliche Reaktion, doch glücklicherweise folgt jeder Wiederherstellung von lebensspendenden Sphären auch ein kleiner Hoffnungsschimmer.

Es hat mir Mut gemacht, die Bekanntschaft einiger solcher Projekte während früherer Deutschlandaufenthalte zu machen. Meine Wurzeln liegen in Rheinhessen, einer Gegend, die durch den Rhein geprägt ist, wie der Name andeutet. Ganz in der Nähe der Rohrwiesen bei Rheindürkheim (Thema eines vorherigen Blogbeitrags) liegt ein zweites Naturschutzgebiet, namens Eich-Gimbsheimer Altrhein. Der Rhein war über Jahrtausende hinweg ein Mäander. Seine Begradigung in den 1820er Jahren führte dazu, daß seine Nebenarme sich selbst überlassen wurden. Viele verlandeten, doch einige, wie auch das hier beschriebene Gewässer, erhielten über Grundwasser, Niederschläge, oder gelegentliche Überflutungen des Stroms genügend Wasser zum Überleben. Diese Überschwemmungen wurden durch den Bau eines Damms verhindert, die Marsche wurden entwässert und in Ackerland verwandelt, und der Grundwasserspiegel fiel durch Trinkwasserförderung zusätzlich.

Mehrgleisigen Projekten in den letzten Jahrzehnten ist die Transformation des Altrheinarms in den Altrheinsee, und die Wiederbelebung der Sumpfgebiete zu verdanken. Die 667 Hektar dieses Schutzgebietes sind Teil von Natura 2000, einem Projekt der EU, das die Wiederherstellung und Erhaltung von gefährdeten Gegenden, und deren Tier- und Pflanzenwelt zum Ziel hat. Auch wenn es nur einen winzigen Ausschnitt der Erdoberfläche repräsentiert, hat es zum Aufblühen der hiesigen Flora und Fauna geführt, und Zugvögeln einen weiteren Rastplatz zur Verfügung gestellt. Ein 6 Kilometer langer Pfad, mitsamt Beobachtungshütten und –türmen, bietet Einblicke in den Altrheinsee, in Baggerseen (Resultat der Kiesförderung), in Feuchtgebiete, in kleine Bruchwälder sowie auf die umliegenden Felder.

Da all meine bisherigen Besuche in den späten Herbstmonaten stattfanden, habe ich noch nicht einmal die Fülle des pulsierenden Lebens erlebt, und freue mich darauf, die Erfahrung im Frühling machen zu können. So bescheiden dieser Zufluchtsort auch sein mag, kann er nichtsdestotrotz als Beispiel dafür dienen, wie wir unseren Planeten Schritt für kleinen Schritt retten können.

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Meine zweite (erste) Heimat

Wann immer ich Gelegenheit habe, nach Deutschland zu reisen, setze ich mein sprichwörtliches Segel Richtung Osthofen. Schauplatz meiner ersten sechs Lebensjahre, bevor ich mit meinen Eltern ins benachbarte Westhofen umzog, ist es wiederum zur Heimatstadt meines Vaters geworden. Ich sehne mich nach seiner Gesellschaft und nach seinem Heim, wo er und seine Partnerin mich (bzw. uns) immer sehr verwöhnen. Sehr zu meinem Leidwesen kann ich ihr warmes Willkommenheißen momentan nur in meiner Erinnerung genießen, anstatt leibhaftig.

Wie viele Gemeinden in Rheinhessen ist Osthofen für seine Weine bekannt. Weinbau wird im klimatisch zuträglichen Rheintal bereits seit Einführung durch die Römer vor 2000 Jahren praktiziert. Viele Familien haben von der Nähe des nur wenige Kilometer entfernt liegenden Flusses profitiert, und kümmern sich seit Generationen um unzählige Weinberge. Diese überziehen die Hügellandschaft und wechseln ihr Erscheinungsbild je nach Jahreszeit. Weinberghäuschen (bzw. -türmchen) erheben sich zwischen den ordentlichen Rebzeilen und erinnern an die Tage, in denen sie Schützen nahe der Erntezeit als Unterkunft dienten, als diese hungrige Vögel durch laute Schüsse zu vertreiben suchten. Diese Abschreckung durch Menschen wurde bereits vor vielen Jahren durch lärmerzeugende Kanonen ersetzt.

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Durch die Stadt und ihre Umgebung zu bummeln transportiert mich zurück in meine Kindheit. Die Zeit, in der wir mit meinen väterlichen Großeltern lebten, bis meine Eltern ihr erstes Haus bauten. Meine Taufe in der Bergkirche. Meine ersten drei Grundschuljahre. Meine wiederholten Besuche in den darauffolgenden Jahren zu Verwandten und Freunden sowie meine Mitgliedschaft in einem Handballverein. Ein Bahnanschluß hat schon immer die Verbindung zu zwei wichtigen Zielen ermöglicht, Worms und Mainz, meine Schul-, bzw. Unistadt.

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Die Chroniken von Osthofen enthalten seit der ersten Erwähnung der Siedlung im 8. Jahrhundert sowohl helle als auch dunkle Kapitel. Sie wurde 1621 während des dreißigjährigen Krieges zerstört, und danach wieder aufgebaut. 1862 hieß sie den Komponisten Richard Wagner willkommen, als er seinen Kollegen und Sohn der Stadt Wendelin Weißheimer besuchte. Das Jahr 1933 warf seinen langen, finsteren Schatten auf den Ort, als eine ehemalige Papierfabrik ein Jahr lang in ein Konzentrationslager umfunktioniert wurde, wo die Gegner der neugewählten Nationalsozialisten bis zu ihrem Transfer in andere Lager eingesperrt und mißhandelt wurden. Heute sind dort ein Museum und eine Dokumentationsstätte untergebracht, wo der Greueltaten von Hitlers Regime gedacht wird.

Wann immer es mir möglich ist, verbringe ich Zeit in der Natur. Wie in vielen landwirtschaftlich übernutzten Gebieten werden Flächen, die nicht dem Weinbau dienen, dem Pflug unterworfen, und mit Getreide oder Rüben bepflanzt. Nur wenige natürliche Flecken verbleiben, wenig Lebensraum für wilde Wesen. Und dennoch locken ein von Menschenhand geschaffener Teich sowohl domestizierte als auch ungezähmte Vögel an, und der Friedfhof mit seinem alten Baumbestand bereitet sowohl gefiederten als auch pelzigen Freunden einen Zufluchtsort.

Als Antwort auf meinen neulichen Blogbeitrag „Komm und setzt Dich“, hat mir mein Papa dieses Photo einer Bank zukommen lassen. Sie befindet sich bereits länger im Besitz meiner Familie als ich, und diente mir einst als Sitzplatz, wenn ich stundenlange Gespräche mit Freunden am Telefon führte. Sie hat wiederholt Umzüge überlebt, und überlebt jetzt unter freiem Himmel in der Einfahrt meines Vaters, wo ich mich hoffentlich bei meinem heißersehnten nächsten Besuch wieder (sachte) auf ihr niederlassen kann.

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Deutschlands größtes Geschenk an die Welt

Als europäisches Transplantat in Amerika werde ich oft gefragt, ob ich mein Geburtsland vermisse. Am allermeisten vermisse ich meinen Papa, seine langjährige Lebensgefährtin, die restliche Familie sowie meine Freunde. Über das Internet oder gelegentliche Telefonate verbunden zu sein ersetzt das allzu selten stattfindende direkte Gegenüber natürlich nicht, doch verbleibt wenigstens eine Verbindung, was für viele ehemalige Emigranten nicht gewährleistet war. Sobald sie den Fuß auf das Schiff setzten, das sie über den Atlantik beförderte, gab es Funkstille. Weiterhin vermisse ich gewisse Orte und Traditionen, die sich in meine Psyche eingeprägt haben, und mit einem schmerzlich-nostalgischen Gefühl verbunden sind.

Um zu etwas Leichtherzigerem überzugehen: Als wir uns kennenlernten, scherzte mein späterer Ehemann immer, ich könne von Haus aus keine Deutsche sein, müsse importiert worden sein, da ich weder Fleisch aß, noch Bier, Wein oder Kaffee trank. Wenn also amerikanische Freunde von der deutschen Küche und von deutschem Hopfen schwärmen, kann ich nur die Augen verdrehen. Ich sehne mich nicht länger nach den Mahlzeiten meiner Kindheit, deren Mittelpunkt ein großes Stück Fleisch war, das mit einer Kartoffelvariante und einem zerkochten, geschmacklosen Gemüse serviert wurde, welches in einer weißen Fondorsauce schwamm (ich entschuldige mich bei allen Liebhabern dieser Küche).

Wonach ich mich stattdessen sehne, ist deutsches Brot. Ovale, runde, quadratische oder rechteckige Laiber (von Brötchen ganz zu schweigen) aus Weizen-, Buchweizen-, Roggen-, Gersten-, Dinkel- oder Haferflockenmehl, berieselt oder gefüllt mit Sonnenblumen- oder Kürbiskernen, mit Hirse, mit Mohn- oder Leinsamen. Mit einer knusprigen Kruste und einem festen aber zugleich lockeren Zentrum, das weder nach Molasse noch einem anderen Süßstoff schmeckt (ich entschuldige mich bei allen Liebhabern amerikanischen Brots). Wenn sich das wie ein Alptraum für alle Leidenden an Gluten-Intoleranz anhört, ist es ein Traum für diejenige, die sich niemals mit einer kohlenhydratarmen Diät anfreunden wird.

Nach dieser etwas lang geratenen Einführung ist es vielleicht nachvollziehbar, daß einer meiner ersten Botengänge in Frankfurt ein kleiner Abstecher zu einer der zahlreichen Bäckereien im Flughafen ist, dem weitere Botengängen zu ähnlichen Einrichtungen folgen, seien sie zu alteingesessenen, privaten Geschäften (bevorzugt), Supermärkten angeschlossenen Ketten, oder Bretzelständen am Bahnhof, oder in der Innenstadt.

Das unnachahmliche Aroma frischer Backwaren, das durch die Lüfte weht, und der Anblick von Regalen, die sich unter dem Gewicht unzähliger Brotformen und -farben beugen, sind für mich unwiderlegliche und willkommene Anzeichen, daß ich mich wieder in der alten Heimat befinde.

Leider muß ich mich momentan mit visuellen, olfaktorischen und gustatorischen Fantasien begnügen, bis unsere Reisepläne in Erfüllung gehen.

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