Sonnenwende

Mein Körper reiht sich ein.

Er ist an seinem dunkelsten Punkt,

aber nur für kurze Zeit.

Nicht genug Zeit für Wahnsinn

     oder vorübergehende Depression.

Der dunkelste Punkt stellt nur eine kurze Gelegenheit dar.

Eine Gelegenheit für Traurigkeit, Einsamkeit, Sichentlieben

     und weitere Zustände, die mit Lichtmangel einhergehen.

Aber bevor von der Gelegenheit Gebrauch gemacht werden kann, ändern sich

     die Schatten.

Das Licht wird stärker,

zieht mich zu sich hin.

Zu seiner Wärme, dem darin verborgenen Versprechen.

Und so beginne ich den nächsten Zyklus,

zusammen mit den Tieren, den Pflanzen, den Ozeanen und Winden

und allen, die denselben Sog fühlen.

 

Ich finde mein Gleichgewicht.

Ich beginne erneut.

Es ist erst der zweiundzwanzigste Dezember und schon beginnt es,

     sich wie Sommer anzufühlen.

 

Ofelia Zepeda (born 1952), „The South Corner” (meine Übersetzung aus dem Amerikanischen) aus der Anthologie Sisters of the Earth: Women’s Prose & Poetry about Nature. Lorraine Anderson, Hrsg., 2. Ausgabe, 2003.

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Eine „Bloomer Frau“ auf Pikes Peak

Die Bezeichnung „Bloomer Frau“ war kein Kompliment in feiner Gesellschaft. Laut viktorianischen Ansichten waren nur knöchellange Röcke anständig, auch wenn sie im Alltag noch so unpraktisch waren. „Bloomer Frauen“ trugen Gewänder, die kurz unterhalb der Knie endeten, und über einem Paar weiter Pluderhosen getragen wurden – ein Skandal. Obwohl sie es nicht selbst entwarf, wurde das Kostüm nach Amelia Bloomer (1818-1894) benannt, die eine der ersten Verfechterinnen der Frauenbewegung in den USA war, und sich auch für Kleiderreform einsetzte. Frauen, die diese progressive Kleidung anlegten, protestierten die willkürlichen gesellschaftlichen Normen und unterstützten gewöhnlich die frühen feministischen Organisationen sowie deren Ziele: Gleichberechtigung und Wahlrecht.

„Reformgewand“ oder „Bloomer“. Abbildung in A Bloomer Girl on Pike’s Peak

Der Titel dieses Beitrags stammt von einem Buch, das 1949 vom Denver Library District veröffentlicht wurde. Eine Bloomer Frau auf Pikes Peak (A Bloomer Girl on Pike’s Peak) bezieht sich auf Julia Archibald Holmes (1838-1887). Sie wurde in Kanada geboren und zog zehnjährig nach Massachusetts, und Mitte der 1850er Jahre nach Kansas, wo ihre Familie Teil der Bewegung war, die die Legalisierung der Sklaverei in diesem Staat verhindern wollte. Sie halfen bei der Gründung der Stadt Lawrence, wo sie auch James Holmes kennenlernte, der wie sie ein Gegner der Sklaverei, und ferner Mitkämpfer der Free State Rangers unter John Brown war. Im Herbst 1857 heiratete sie ihn mit nur 18. Nach Goldfunden in Colorado im folgenden Jahr schloß sich das Paar im Juni 1858 der Lawrence Party an, die zu den frühesten Goldsuchern gehörten. Diese überquerten die Great Plains im Planwagen und zu Fuß. Etwa einen Monat später erreichten sie den Schatten von Pikes Peak, wo sie in der Nähe des jetzigen Garden of the Gods ihr Lager aufschlugen.

Ein halbes Jahrhundert zuvor, 1806, hatte Captain Zebulon Montgomery Pike die erste Regierungsexpedition in diese Gegend geleitet, die Teil des Louisiana Purchase von 1803 gewesen war. Während er nach dem Ursprung des Arkansas Flusses suchte, sah er einen hohen Berg in der Ferne, dem er sich zielstrebig näherte, von dessen Besteigung er aber wegen unfreundlichen Novemberwetters abgehalten wurde. In seinem Tagebuch verlieh er seiner Überzeugung Ausdruck: „Kein Mann könnte seine Zinne erklommen haben“. Julia und ihr Mann erreichten jedoch am 5. August 1858 den Gipfel des 4302 Meter hohen Berges, der einige Jahre nach Pikes Tod nach ihm benannt wurde. Julia wird allgemein als erste weiße Frau angesehen, der das gelang. Ironischerweise trug sie ihr „Bloomer“ Gewand, was ihren Aufstieg erleichterte, wohingegen Pike und seine Männer nicht nur mit Schnee zu kämpfen hatten, sondern auch mit unzureichenden Sommeruniformen.

Julia führte Tagebuch, und obwohl es verloren ging, überlebten einige Einträge in Form von Briefen an die Familie, und Artikeln für Frauenzeitschriften. Sie vermitteln Einblicke in Julias Abenteuer und stellen den Großteil des Buches A Bloomer Girl on Pike’s Peak dar, aus dem die folgenden (von mir übersetzten) Zitate stammen.

Wir waren nun mitten auf der wogenden Prärie. Jemand, der nie das Meer oder die weite, unbewohnte Ebene gesehen hat, kann sich die Großartigkeit der Kulisse unmöglich vorstellen. Mit dem blauen Himmel über uns und der unbeschränkten Vielfalt der Blumen unter unseren Füßen schien es, als haben sich die Einsamkeit des Meeres mit all den Schönheiten der Landschaft vereint. (Seite 15)

Ich begann die Reise fest entschlossen, das Laufen zu erlernen. Zuerst konnte ich nicht mehr als drei oder vier Meilen gehen, ohne erschöpft zu sein, aber indem ich jeden Tag beharrlich so weit wie möglich lief, nahm mein Leistungsvermögen nach und nach zu, und im Laufe einiger Wochen konnte ich zehn Meilen unter den heißesten Bedingungen zurücklegen, ohne geschlaucht zu sein. Wenn Frauen, wie ich, an die Gleichbehandlung mit Männern glauben, sollten wir, wenn möglich, auch deren Mühsale auf uns nehmen, um unsere Unabhängigkeit voranzutreiben. (Seite 20)

Ich habe mein Ziel erreicht und fühle mich für meine Mühen und Müdigkeit reichlich belohnt. Fast alle haben versucht, mich von meinem Vorhaben abzubringen, doch ich glaubte immer an sein Gelingen, und nun stehe ich hier und möchte diese herrliche Aussicht um nichts in der Welt missen. Aller Wahrscheinlichkeit nach bin ich die erste Frau, die je auf dem Gipfel dieses Berges gestanden und einen Blick auf diese wunderbare Landschaft geworfen hat. (Seite 39)

Heutiger Gipfelblick von Pikes Peaks aus

Als sich kein Gold finden ließ, zogen Julia und ihr Mann einige Jahre lang nach Neu Mexiko. Von ihren vier Kindern verstarben zwei. Nachdem sich Julia 1870 als Konsequenz von Mißbrauch und Ehebruch scheiden ließ, wurde Washington, D.C. ihr permanenter Wohnsitz. Dort blieb sie in der Frauenbewegung aktiv und arbeitete für die US Regierung bis zu ihrem Tode im Alter von nur 49 Jahren. Ihre Todesursache wird in den mir bekannten Quellen nicht erwähnt. Das obige Bildnis zeigt Julia mit etwa 32, als sie sich von ihrem Mann trennte. Bin ich die einzige, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit Julia Roberts erkennt?

Pikes Peak (auch als America’s Mountain bekannt) erinnert mich regelmäßig an das bewegte und erfüllte Leben der „Bloomer Frau auf Pikes Peak“, der Progressiven, Sklavereigegnerin, Suffragette, Schriftstellerin, und ersten bekannten Frau, die seine Kuppe erklomm.

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Agnes Grey — einige Gedanken

Nachdem ich im vergangenen Jahr Charlotte Brontës Jane Eyre und Emily Brontës Sturmhöhe (Wuthering Heights) zum ersten Mal auf Englisch las, befaßte ich mich vor kurzem mit Anne Brontës Agnes Grey, einem ausgesprochen autobiographischen Roman. Wie viele Frauen im England des 19. Jahrhunderts, die sich ihren Lebensunterhalt verdienen mußten, wurden alle drei Brontë Schwestern Gouvernanten, einer der wenigen akzeptierten Berufe, die gebildeten Frauen zur Auswahl standen. Trotz dieser „Akzeptanz“ wurden sie häufig unterbezahlt und von ihren Arbeitsgebern als Untertanen behandelt. Auch wurde ihnen die Autorität versagt, die reichen, verwöhnten und häufig unfügsamen Kinder zu disziplinieren.

Als Agnes Grey, die Protagonistin des gleichnamigen Romans, sich um einen Gouvernantenposten bewirbt, um ihre Familie finanziell zu unterstützen, erfährt sie dies am eigenen Leibe. Ihre erste Stelle wird nach einigen Monaten gekündigt, weil die Eltern ihre Sprößlinge als unschuldig ansehen, und Anne die Schuld für deren Ungehorsam in die Schuhe schieben. Ihre zweite Anstellung dauert mehrere Jahre, doch auch sie ist für Anne wenig befriedigend. Als ihre Schülerinnen das heiratsfähige Alter erreichen, werden ihre Dienste nicht länger benötigt. Sie kehrt nach Hause zurück, um ihrer Mutter nach dem Tod des Vaters mit der Gründung und Leitung einer Privatschule zu assistieren (es war der unerfüllte Wunsch der Brontës gewesen, eine solche Privatschule in ihrem Heim zu organisieren).

Nach vielen Jahren des ungewürdigten Dienstes und zahlloser Entbehrungen findet Agnes ihre wahre Liebe. Mr. Weston, der Vikar ihrer ehemaligen Gemeinde, der ihr Herz gestohlen hatte, sucht sie auf, und hält mit den folgenden Worten um ihre Hand an: „ ,Mein Heim ist noch immer trostlos, Miss Grey‘, bemerkte er lächelnd, ‚und ich habe die Bekanntschaft aller Damen in meiner Gemeinde sowie in dieser Stadt gemacht, und auch vieler anderer, die mir vom Sehen oder Hören bekannt sind. Nicht eine sagt mir als Lebensgefährtin zu. In der Tat gibt es nur eine einzige Person auf der Welt, die dafür in Frage kommt, und zwar Sie, und ich hätte gerne Ihre Antwort‘ “ (meine Übersetzung). Das Hollywood Ende weicht von Annes trauriger Lebensgeschichte ab, aber gerade weil mir das Schicksal der Brontës bekannt ist, habe ich mir dieses Ende herbeigewünscht, das Agnes beschert, was Anne in ihrem Leben versagt blieb.

Die Biographie der Brontës liest sich wie eine Tragödie und fasziniert jede Generation aufs Neue. Diese Tragödie ist mit einer der ältesten Geißeln der Menschheit verbunden, der Schwindsucht, später als Tuberkulose bekannt. Zwischen 1814 und 1820 setzten der Vikar Patrick Brontë und seine Frau Maria sechs Kinder in die Welt. Im folgenden Jahr lebte Maria ab und hinterließ eine mutterlose Familie. 1825 verstarben zwei der Töchter, Maria und Elizabeth, im Alter von 11 und 10 Jahren, an Schwindsucht, wahrscheinlich wegen der elenden Bedingungen in ihrem Internat. Vier der Kinder überlebten bis ins Erwachsenen-, aber nicht bis ins hohe Alter. 1848 rafften Schwindsucht, Alkohol- und Opiumabhängigkeit den einzige Sohn, Branwell, mit 31 dahin. Drei Monate nach seiner Beerdigung folgte Emily ihm 30-jährig ins Grab, und nur einen Monat nachdem die gefürchtete Krankheit das Leben ihrer Lieblingsschwester forderte, erlag ihr Anne mit nur 29. Charlotte Brontë erreichte das relativ fortgeschrittene Alter von 38, bis auch sie während ihrer ersten Schwangerschaft starb, angeblich an Schwindsucht, aber vermutlich aus anderen Gründen. Der Patriarch Patrick Brontë überlebte nach Charlottes Tod weitere sechs Jahre, und entschlief 1861 im Alter von 84, trotz vieler körperlichen Gebrechen, die ihn zeitlebens geplagt hatten.

Wir stellen uns die Brontës oft als ein Trio vor, in dem Charlotte die erste Geige, Emily die zweite und Anne die dritte spielte. Als jüngste stand Anne immer im Schatten ihrer älteren Schwestern, aber auch sie hinterließ ein Vermächtnis, das uns einen Einblick in ihre Seele erlaubt. Ihr war es vergönnt, zwei ihrer Romane noch zu ihren Lebzeiten veröffentlicht zu sehen. Ich fand Agnes Grey sehr lesenswert und freue mich auf Die Herrin von Wildfell Hall (The Tenant of Wildfell Hall). Letzterer wurde zur Riesensensation, resultierte aber auch in Riesenkritik. Diese Geschichte einer mißhandelten Ehefrau, die es wagt, ihren Mann mit ihrem Sohn zu verlassen, deutet darauf hin, daß Anne eine Frau mit eigenen Ansichten war, die unbequeme gesellschaftliche Realitäten ansprach, und daß ihr stiller, zurückhaltender Charakter wenigstens teilweise eine Erfindung von Charlotte war. Mögen Annes Worte für sie sprechen.

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